Kolumne

Tim Thoelke über Juckreiz, Enten und Bauchnabelfussel

 

Mit dem Vorrücken der dunklen Jahreszeit steigt dieser Tage nicht nur die Anzahl der Wohnungs- und Hauseinbrüche, sondern auch die Spannung hinsichtlich der Bekanntgabe der diesjährigen Nobelpreisträger. Die Deutschen sind dabei zwar zuletzt zweimal leer ausgegangen, müssten aber mit 0,5 Nobelpreisen pro Ehrung seit dem Jahrtausendwechsel statistisch gesehen 2024 mal wieder an der Reihe sein und haben mit fünf Auszeichnungen in den letzten zehn Jahren keine schlechte Bilanz. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir bei einem anderen Nobelpreis wesentlich erfolgreicher sind: In der gleichen Dekade haben wir satte 13 Mal den Ig-Nobelpreis gewonnen – eine Auszeichnung, die gelegentlich auch als Anti-Nobelpreis bezeichnet wird.
 
Diese renommierte Ehrung, die laut den Statuten der Jury »die Menschen zuerst zum Lachen, dann zum Nachdenken bringen soll«, findet meistens kurz vor der Bekanntgabe der Nobelpreisträger statt und hat sich derartig etabliert, dass die Verleihung mittlerweile an keinem geringeren Ort als an der Harvard-Universität vorgenommen wird.
 
Sie würdigt Forschungsthemen, deren Grundvoraussetzung ist, neuartig und bisher wissenschaftlich unerforscht zu sein, und die sich häufig im Bereich der sogenannten Marginalistik abspielen, also innerhalb einer inter- und transdisziplinären Wissenschaft, die sich mit abseitig erscheinenden bzw. wissenschaftlich vernachlässigten Themen befasst. So entdeckten etwa 2016 die deutschen Christoph Helmchen, Carina Palzer, Thomas Münte, Silke Anders und Andreas Sprenger, dass einem Juckreiz auf der linken Seite des Körpers durch Betrachtung in einem Spiegel und Kratzen der rechten Seite des Körpers abgeholfen werden kann (und andersherum), und bekamen dafür (zu Recht) den Ig-Nobelpreis in der Kategorie Medizin.
 
Wirklich abseitig erscheint dieses Thema im Vergleich zu den Honorierungen aus anderen Jahren in dieser Disziplin allerdings nicht. Die ausführlichen Versuche zur »Beschleunigung der Passage von Nierensteinen mittels Achterbahnfahrten« scheinen da bei den Preisträgern von 2018 beispielsweise schon aufwendiger gewesen zu sein, ganz zu schweigen von der kurz darauf dokumentierten ausführlichen »Untersuchung zur Messung der Temperaturasymmetrie zwischen beiden Hoden bei nackten und bekleideten Briefträgern in Frankreich«. Aufgefallen ist mir in diesem Zusammenhang auch die 2013 ausgezeichnete Arbeit »Chirurgisches Management einer Epidemie von Penisamputationen in Siam«, in der verschiedene chirurgische Techniken empfohlen werden – außer für Fälle, in denen der Penis teilweise von einer Ente gegessen wurde.
 
Aber nicht nur in der Medizin, sondern auch im Bereich Physik haben Forschende allerhand interessante Erkenntnisse zusammengetragen, so konnten sie zum Beispiel belegen, dass trockene Spaghetti bei Biegung meist in mehr als zwei Teile zerbrechen (im Selbstversuch konnte ich diese These bei etwa zwei Dritteln der Versuche bestätigen), und erbrachten den Nachweis, dass Messer, die aus gefrorenen menschlichen Exkrementen hergestellt werden, nicht gut funktionieren (Selbstversuch steht noch aus).
 
Unter den preisgekrönten Themen finden sich außerdem viele aus der Tierwelt: Bei einem Experiment, an dem 2020 auch ein Deutscher beteiligt war, konnte man ermitteln, was mit der Form eines lebenden Regenwurms geschieht, wenn man diesen mit hoher Frequenz in Schwingung versetzt. Später wies man nach, dass Ratten tatsächlich nicht in der Lage sind, eine Person, die japanisch rückwärts spricht, von einer Person, die niederländisch rückwärts spricht, zu unterscheiden.
 
Andere Preisträger haben untersucht, ob es in beiden Nasenlöchern gleich viele Nasenhaare gibt, warum der Eiffelturm kleiner aussieht, wenn man sich nach links lehnt, stellten umfassende Studien über Bauchnabelfussel an, versuchten Waffen zu entwickeln, welche die gegnerischen Truppen schwul machen sollten, und erfanden ein Gerät zur Geburtshilfe, bei dem die Schwangere auf einen runden Tisch geschnallt wird, der dann mit hoher Geschwindigkeit rotiert.
 
Es gab viele unerwartete Ergebnisse bei den Forschungen im Zusammenhang mit den Ig-Nobelpreisen, eine Erkenntnis hat mich allerdings überhaupt nicht überrascht: 2010 erbrachten Alessandro Pluchino, Andrea Rapisarda und Cesare Garofalo den mathematischen Beweis, dass Organisationen effizienter wären, wenn sie Mitarbeiter nach dem Zufallsprinzip beförderten.
 
Die Untersuchung bestätigt damit das sogenannte Peter-Prinzip, das schon 1969 von Laurence J. Peter erdacht wurde. Es besagt, dass jedes Mitglied einer ausreichend komplexen Hierarchie immer weiter befördert wird, solange es auf seiner bisherigen Position erfolgreich ist. Übersteigen die Anforderungen der Position dann irgendwann die Fähigkeiten der Person, bleiben weitere Beförderungen aus. Dadurch markiert in der Regel das persönliche Maximum der Karriereleiter das Maß einer maximalen Unfähigkeit innerhalb der Hierarchie – und diese führt unweigerlich dazu, dass, so Peter: »Nach einer gewissen Zeit jede Position von einem Mitarbeiter besetzt wird, der unfähig ist, seine Aufgabe zu erfüllen.«
 
Kommt das nur mir irgendwie bekannt vor?
 
 
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