Kolumne

Tim Thoelke über Paris, Juliane Werding und den Tod

 

 

Ein Freund von mir war kürzlich in Paris und von seinem Besuch des Eiffelturms brachte er folgende Geschichte mit: Nachdem er sich durch die lange Warteschlange gekämpft hatte, gönnte er sich auf einer Bank unter dem Turm eine kleine Pause. Er ließ den Blick schweifen und sah ein junges Pärchen, das wie gemalt vor ihm im Sonnenuntergang stand. Just in diesem Moment ging der Mann auf sein Knie. Die junge Frau fing sofort an zu weinen, sprang auf und ab und schrie: „Ja, ich will, ich will!“

Der Mann schaute mit großen Augen zu ihr hoch, lächelte nervös in die Runde und band dann seinen offenen Schnürsenkel zu. Um eine lange Geschichte kurz zu machen, es gab noch mehr Tränen, aber andere. Deswegen mein Tipp für alle Männer: Wenn ihr mit eurer Freundin zum (vermeintlich) romantischsten Ort der Welt fahrt und seht, dass euer Schuh offen ist: Bleibt cool!

 

Das „Frauen & Lifestyle Online-Magazin“ [sic!] desired.de weiß Bescheid: „Vermutlich ist das Niederknien einfach deswegen heute noch so beliebt, weil jeder selbst bei überraschenden Heiratsanträgen ohne viel Gerede sofort weiß, was gleich passieren wird.“

 

Und das ist nicht: Jemand bindet sich gleich den Schuh zu.

 

Nun ja, „Die Liebe kommt und geht“ war einst der Titel eines Schlagers von Hit-Texter Hans-Ulrich Weigel – obwohl ich sagen muss, dieser Songtitel war nicht der stärkste von ihm. Mein persönlicher Uli-Weigel-Songtitel-Favorit ist und bleibt „Ich mach' ein Interview mit deinem Herzen“ (wobei ich auch dem philosophisch-physiktheoretischen Aspekt von „Zeit ist eine lange Straße“ etwas abgewinnen kann).

 

Besondere Aufmerksamkeit erregte Uli Weigel bei mir aber aus einem ganz anderen Grund. Er lieferte gleich zwei Schlagertexte zum Thema Tod ab, die beide sogar große Hits wurden. Bemerkenswert, da dieses Thema in der Schlagerwelt eigentlich tabu war. 1972 überraschte er mit der tödlichen Drogenkarriere des Conny Kramer, die von Juliane Werding besungen wurde. Die Geschichte, dass die damals erst 15-jährige Werding kurz vorher wirklich einen Freund durch die Folgen übermäßigen Drogenkonsums verloren hatte, darf bezweifelt werden und war wohl eher Teil einer Vermarktungsstrategie, die Juliane so authentisch wie möglich aussehen lassen sollte.

 

„Am Tag, als Conny Kramer starb“ (das im Original „The Night They Drove Old Dixie Down“ heißt und vom Schicksal eines Soldaten handelt, der im US-amerikanischen Bürgerkrieg seine Gefährten sterben sieht) erreichte Platz 1 der deutschen Charts und verkaufte sich über eine Million Mal. Schon erstaunlich, hatte man doch bis dato gedacht, dass nur der Tod von Tier („Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand“) und Pflanze („Mein Freund, der Baum“) für die Schlagergemeinde zumutbar sei.

 

Aber Uli Weigel legte drei Jahre später sogar noch einen drauf, indem er „Rocky“ textete (ein Jahr vor dem Film!), ein Song über einen Mann, dessen geliebte Frau an einer ungenannten Krankheit stirbt und ihn mit der gemeinsamen kleinen Tochter allein zurücklässt. Harter Tobak, nicht nur in der unschuldigen Welt des Schlagers. Bernd Clüver sollte das Stück singen, brach im Studio aber die Aufnahme ab, da ihm der Text zu krass war. Doch dann trat der junge Sänger Frank Farian auf den Plan, der im Laufe seiner Karriere als Autor und Musikproduzent noch über 800 Gold- und Platinauszeichnungen erhalten sollte, und sang das Lied. Farian testete die Aufnahme in seiner Disco im Saarland – bei seinen Putzfrauen. Er legte das Stück auf, während die Damen die Tanzfläche wischten. „Stell dir vor, die haben alle geweint!“, berichtete er kurz darauf freudestrahlend Uli Weigel. Auch diese Nummer verkaufte sich, analog zu „Am Tag, als Conny Kramer starb“, über eine Million Mal und kletterte bis an die Spitze der deutschen Single-Charts.

 

Es bleibt unklar, warum nach diesen Erfolgen nicht reihenweise Schlagerstars den Tod besungen haben. Zumindest Juliane Werding versuchte es 1980 noch einmal: In „Großstadtlichter“ ließ sie eine in Not geratene junge Schauspielerin brutal von ihrem Freier ermorden. Das Lied blieb ziemlich erfolglos, obwohl Michael Kunze den Text schrieb, der mit Jürgen Drews' „Ein Bett im Kornfeld“ und Udo Jürgens' „Griechischer Wein“ eigentlich schon bewiesen hatte, dass er Hits schreiben konnte. Nun gut, im gleichen Jahr erreichte er immerhin noch die Top Ten mit Gittes „Freu dich bloß nicht zu früh“, womit wir wieder beim Anfang dieser Kolumne wären.

 

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