Kolumne

Tim Thoelke über Steinsalze, Bikertypen und Hausfrauen

 

 

Foto: Enrico Meyer

Ich finde es auffällig, wie viele meiner Freunde an den Wochenenden nur noch essen. Sie gehen kaum noch in Clubs und noch viel seltener auf Konzerte. Sie stellen sich nicht mehr mit warmem Bier und fremden Menschen in WG-Küchen und geben erst recht keine eigenen Partys mehr. Für diesen Spaß fühlen sie sich manchmal schon mit Anfang dreißig zu alt, zu müde, zu gestresst von Job oder Kind. Stattdessen laden sie am Wochenende ihre Freunde in ihr Zuhause ein, umarmen sich, versichern sich, dass sie ihre Schuhe anbehalten dürfen (oder dass es ihnen nichts ausmacht, sie auszuziehen), entkorken die hastig gekauften Weinflaschen und erzählen (oder fragen), wie sie bisher beim Kochen vorangekommen sind. Und dann essen sie.

 

Zugegeben, es wäre schon irgendwie komisch, wenn es nichts zu essen geben würde, denn dann gäbe es ja ausschließlich was zu trinken. Es würde wohl doch etwas befremdlich klingen, wenn der Chef im Anschluss an ein Meeting zu einem sagen würde: „Kommen Sie doch am nächsten Wochenende mal wieder mit Ihrer Frau zu uns – zum Saufen!“ Ein gewisses Geschmäckle hätte sicherlich auch die folgende Nachricht in der Freunde-WhatsApp-Gruppe: Hey, wer hat am Samstag noch nichts vor? Sabine und ich waren kürzlich im Ruhrpott und wir haben von dort einige Spezialitäten mitgebracht. Deswegen laden wir euch ab 18 Uhr zu einem Trinkgelage ein. Falls jemand keinen Doppelkorn mag, bitte melden!

 

Nein, das klingt nicht so gut, also wird vor allem gegessen und nur nebenbei getrunken. Wann immer ich bei solchen Abenden anwesend bin, holt mich allerdings schnell der Drang ein, mich am nächsten Wochenende sofort wieder ins Kultur- und Nachtleben zu stürzen. Ich habe nämlich Folgendes beobachtet: Wer einmal abreißen lässt, ist mehr oder weniger endgültig raus und kommt nie wieder zurück auf die aufregende Seite des Feierabends. Er bleibt für immer auf der gemütlichen: Samstagabend bei Freunden am Tisch sitzen, über Steinsalze und handgezogene Nudeln reden, früh ins Bett gehen.

 

Schön, aber eben auch gähn.

 

Dass Essen und Aufregung sich aber gar nicht ausschließen müssen, habe ich vor ein paar Jahren erlebt, als ich am Connewitzer Kreuz das Scharfe-Currywurst-Wettessen moderiert habe. In mehreren Stufen konnten die Teilnehmer ihre Härte im Schärfe-Nehmen beweisen, und die wurde wirklich grenzwertig auf die Probe gestellt.

 

Grundsätzlich ist es so, dass sich die Schärfe einer Currysauce durch die Konzentration von sogenanntem Capsaicin in der jeweiligen Chilisorte ergibt. Der Schärfegrad wird in der Einheit Scoville gemessen, handelsübliches Tabasco zum Beispiel hat einen Schärfegrad von etwa 5.000 Scoville. Doch mit so etwas wurde sich nicht mal ansatzweise abgegeben. Schon in der ersten Runde legte das Team der ansässigen Pommesbude eine Sauce mit nicht weniger als 100.000 Scoville auf die Wurst. So gaben schnell diverse Wettesser auf und verkleinerten damit automatisch das Feld. In der zweiten Runde mussten 250.000 Scoville überwunden werden, was schon etwa dem Schärfegrad von Pfefferspray entspricht. Ein normaler Körper versucht jetzt so ziemlich alles, um das Capsaicin wieder loszuwerden: Schwitzen, Durchfall, extremes Sabbern, sogar Weinen und natürlich: Erbrechen. Diese naheliegende Körperreaktion führte selbstverständlich zur sofortigen Disqualifizierung, und ja, es wurde reichlich gekotzt. So sah ich zum Beispiel einen Wettesser, der es vom Tisch nicht weiter als bis zur nächsten Laterne schaffte, um dort seine Currywurst vom Magen auf den Bürgersteig zu befördern. Im Anschluss bemerkte ich einen Hund, der schwanzwedelnd angelaufen kam, um sich den fast unverdauten Leckerbissen einzuverleiben. Drei Sekunden später erbrach sich der Hund in das Erbrochene des Menschen.

 

In der dritten Runde wurden 750.000 Scoville aufgefahren und das Feld dezimierte sich auf unter zehn Teilnehmer. Ganzkörpertätowierte Bikertypen fingen an zu zittern und zu weinen, einer schrie, er könne seine Augen nicht mehr offen halten, weil seine Tränen so vor Schärfe brannten.

 

Nur von einer Person nahm kaum jemand Notiz: Eine zierliche, etwa 45-jährige Hausfrau saß inmitten der todesmutigen Männer und aß ohne mit der Wimper zu zucken eine Currywurst nach der anderen. Kein Schweißtropfen auf der Stirn, keine geröteten Augen, kein Jammern, nichts. Ein junger Student konnte am längsten mit ihr mithalten, doch bei 2.000.000 Scoville musste auch er aufgeben. „Isch ess einfoch gern schorf“, gab sie in breitem Sächsisch zu Protokoll, als ich ihr den Siegerpokal überreichte, und setzte damit das verblüffende Ende der Veranstaltung.

 

Ebenfalls verblüffend ist eine Geschichte, die mir im Nachgang des Wettessens von einem Teilnehmer zugetragen wurde. Wie schon erwähnt, versucht der Körper das Capsaicin auf allen denkbaren Wegen wieder abzustoßen. Neben Tränen, Rotz und Schweiß brennt auch jede andere Körperflüssigkeit noch Tage später wie Feuer. Im Nachhinein muss man es wohl als Fehler bezeichnen, dass sich besagter Teilnehmer einen Tag nach dem Wettessen gegenüber seiner Freundin nicht in Enthaltsamkeit geübt hat. Um es abzukürzen: Es gab eine schmerzhafte Überraschung, der Blitzbesuch beim Gynäkologen ergab allerdings, dass keine Folgeschäden zu erwarten sind.

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