Kolumne

Tim Thoelke über Ärmelbretter, Rückenstücke und hemdfreie Wochen

 

Vor einiger Zeit fand ich die wundervoll duftenden Räumlichkeiten der Reinigung meines Vertrauens direkt bei mir um die Ecke zu meinem Entsetzen geschlossen vor – und zwar für immer. Traurig und ein wenig empört machte ich mich mit meinem Bündel schmutziger Hemden über der Schulter wieder auf den Weg nach Hause und dachte wehmütig über mögliche Alternativen nach. Da es in meiner unmittelbaren Nähe keinen weiteren derartigen Textilpflegebetrieb gab, entschied ich kurzerhand, mich selbst um das Schmutzwäschebündel zu kümmern.

 

Nun war mir bereits seit einiger Zeit bekannt, dass Herrenoberhemden nicht chemisch gereinigt, sondern schlicht mit der Maschine gewaschen werden – und die dürfte in einem Profibetrieb (bis auf die Größe) einer normalen Haushaltswaschmaschine ziemlich ähnlich sein. Das eigentliche Reinigen war also kein Problem, die Herausforderung kam erst im Anschluss: beim Bügeln.

 

Trotz einer ausführlichen Einführung in das Thema durch einige Expertinnen mit jahrzehntelanger Erfahrung (Mutter, Schwiemu), brauchte ich Wochen und Monate, um das Handwerk des Hemdenbügelns einigermaßen befriedigend auszuführen. Schnell musste ich feststellen, dass die ganze Angelegenheit deutlich zeitaufwendiger ist, als man im ersten Augenblick zu meinen glaubt: Allein das Hinfriemeln der Hemdsärmel, die schon vor dem eigentlichen Bügelvorgang absolut exakt mit Vorder- und Rückseite übereinander und in vollkommener Ebenheit auf dem Bügelbrett angeordnet sein müssen, kann einen in den Wahnsinn treiben (der Erwerb eines sogenannten „Ärmelbretts“ hat hier leider keine signifikante Verbesserung gebracht). Beim Plätten des Ärmels hat man dann das Problem, dass man mit dem jeweils anderen Ärmel automatisch den Fußboden wischt, vollkommen unproblematisch erscheint es dagegen, einen so epochalen Knick im Hemd zu fixieren, dass diesen wieder auszubügeln aufwendiger ist als das Glätten aller Falten des ungebügelten Hemds zusammen.

 

Habe ich am Anfang noch fast zehn Minuten für ein tragbares Oberhemd gebraucht, bin ich jetzt im Schnitt auf etwas unter vier runter. Dabei haben mir nicht nur meine stetig verbesserten Bügel-Skills geholfen, sondern vor allem meine über Monate erarbeitete, ganz eigene Strategie.

 

Laut meiner weiblichen Angehörigen sollte man bei jedem Hemd grundsätzlich mit dem sogenannten Rückenstück beginnen, also dem Bereich zwischen Schultern und Hals. Dieses ist sehr lästig zu bügeln, da es auf dem gesamten Bügelbrett keine Stelle gibt, auf dem man das Rückenstück in eins vernünftig glatt ziehen kann. Schnell war klar, dass meine Strategie zu diesem Thema lautet: Das bügele ich gar nicht! Dieser Bereich zieht sich nach dem Glätten des restlichen Rückens schon irgendwie hin, das sieht später kein Mensch mehr. Das Gleiche gilt für das Innere einer Umschlagmanschette – wird umgeschlagen, also: Mach ich nicht! Dann fiel mir auf, dass ich einen nicht unerheblichen Teil meiner Arbeit generell in Sekunden wieder zerstöre, und zwar die fein säuberlich geglätteten fast zwanzig Zentimeter des unteren Bereichs, die ich mir beim Anziehen in die Hose stecke. Ergo wurde auch dieser Teil in Zukunft bei der ungeliebten Arbeit im Dampf des Eisens ausgelassen.

 

Daraus ergaben sich schnell weitere Elemente meiner Bügelvermeidungstaktik: Warum den Rücken glätten, wenn ich den ganzen Abend eine Weste trage? Warum die Ärmel bügeln, wenn mich an einem kalten Tag niemand jemals ohne meine Strickjacke sehen wird?

 

Laut meiner vorsichtigen Schätzung spare ich durch das einfache Auslassen von zu glättender und eigentlich unsichtbarer Stofffläche etwa zwei Minuten pro Oberhemd. „Okay, diese ganze Kolumne nur wegen zwei Minuten?“, werden Sie sagen. „Was soll das ganze Brimborium?“

 

Doch die Reichweite meiner Methode erschließt sich erst, wenn man diese scheinbare Marginalität summiert: Nehmen wir an, ich habe einen ganz normalen Bürojob und möchte an jedem fröhlichen Arbeitstag ein frisches Hemd anziehen – dann sprechen wir von fünf Hemden pro Woche. Das Jahr hat 52 Wochen, von dem wir natürlich noch Urlaubstage (viele sicher im T-Shirt) und ein paar Tage krank im Bett (Schlafanzug, Nachthemd) abziehen müssen. Veranschlagen wir also einfach mal großzügig sechs hemdfreie Wochen. Dann bleiben 46 Wochen, in denen ich jeweils fünf schön geplättete Oberhemden trage möchte, das sind also 230 Bügelvorgänge im Jahr, mit einem Arbeitseinsparpotenzial von summa summarum 460 Minuten – dank meiner Strategie!

 

Deutschland liegt bei der Lebensarbeitszeit europaweit im oberen Drittel: Ein Mensch verbringt hierzulande durchschnittlich 39,3 Jahre im Arbeitsleben. Multiplizieren wir nun die frei gewordenen 460 Minuten im Jahr mit 39,3, dann kommen wir auf volle 18.078 Minuten! Das entspricht 301,3 Stunden – und das sind wiederum mehr als 12,5 Tage! Wahnsinn!

 

Und jetzt frage ich Sie: Möchten Sie nicht auch zwölfeinhalb wertvolle Tage Ihres Lebens dazugewinnen? Sind Sie es auch leid, Stoffbereiche zu bügeln, die kein Mensch sieht? Wollen auch Sie nie wieder über sinnlose Rückenstücke nachdenken? Dann nutzen Sie die verblüffend einfache und völlig kostenlose Thoelke’sche Bügelvermeidungsstrategie!

 

Übrigens, ich weiß auch schon, wofür ich persönlich meine hinzugewonnene Lebenszeit verwenden werde: Dafür, noch etwa 10.000 Tage meines Lebens fertig angezogen im Flur stehend circa zwei Minuten darauf zu warten, dass meine Frau auch so weit ist. Wie gewonnen, so zerronnen ...

 

 

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