Kolumne

Tim Thoelke über Klempner, Detektive und Schuhputzer

 

 

Ich zündete mir eine Zigarette an, die wie das Taschentuch eines Klempners schmeckte.“

 

Dieser bezaubernde Satz gehört für Multi-Bestsellerautor Stephen King zu seinen „unerreichten Lieblingsvergleichen“, wie er uns in seinem Buch Das Leben und das Schreiben verrät. Vollkommen zu Recht – wurde er doch von Raymond Chandler, einem Autor, den man als so etwas wie den Meister der literarischen Vergleiche bezeichnen könnte, geschaffen.

 

Im Einsatz waren seine brillanten wie kraftvollen Wortfiguren vor allem in seinen Hardboiled Novels, einer Literaturgattung, der Chandler seinerzeit unter anderem mit der Schaffung des Charakters Philip Marlowe einen ungeheuren Popularitätsschub bescherte, der sich bis heute durch die Geschichte der Popkultur zieht.

 

Marlowe taucht das erste Mal 1939 in Chandlers erstem Roman Der große Schlaf (auch: Der tiefe Schlaf) auf und verkörpert einen damals neuen Ermittler-Typus, der sich fortan Hardboiled Detective nennt: einen Antihelden und Einzelgänger, abgebrüht, eigensinnig, melancholisch, hart im Nehmen. Er ist desillusioniert, pessimistisch und zynisch und glaubt nicht (oder nicht mehr) an das Gesetz oder die Justiz, stattdessen lebt er eine eigene, auf der Straße entstandene Form von Gerechtigkeit. Er ist oft brutal und übertritt immer wieder die Grenzen des Gesetzes – für ihn legitime Mittel zum Erreichen von aus seiner Sicht moralisch höher gestellten Zielen. Trotz fragwürdiger Methoden bleibt er seinen eigenen Wertvorstellungen treu, weswegen ihn unmoralische Angebote finanzieller Art kaltlassen, sexuelle nimmt er, wenn überhaupt, nur zum Schein an.

 

Sein Verhältnis zu Frauen bleibt ansonsten ambivalent, doch fast immer oberflächlich. Tiefere Beziehungen einzugehen fällt ihm schwer, er zeigt sich fasziniert vom anderen Geschlecht, traut ihm aber nicht über den Weg. Passend dazu dieser Chandler'sche Vergleich: „Ihre Augen wurden schmal und fast schwarz – und so flach wie der Emailüberzug auf einem Cafeteriatablett.“

 

Generell stehen Frauen und im Besonderen Femmes fatales oft im Mittelpunkt seiner Nachforschungen, ein ums andere Mal hilft er ihnen im Kampf gegen eifersüchtige Ehemänner und korrupte Polizisten. Dabei neigt er zu einem antiquierten und stereotypen Frauenbild, allerdings hat selbst diese Sorte Detektiv in puncto Gleichberechtigung in neueren Veröffentlichungen etwas dazugelernt. Unverändert dagegen bis heute sein latentes Drogenproblem, fast immer raucht oder trinkt er zu viel (meistens trifft beides zu).

 

Seine Ermittlungen finden überwiegend im urbanen Raum statt, sein Umfeld ist von Trostlosigkeit, Armut, Werteverfall und Korruption geprägt. Informationen bezieht er aus einem Netzwerk von Barkeepern, Prostituierten, Schuhputzern, Buchmachern und sonstigen Außenseitern, die ihm noch einen Gefallen schulden oder die er mit Gewalt oder vorgehaltener Waffe zur Aussage zwingt. Die Protagonisten vereint, dass sie im Allgemeinen nur auf den eigenen Vorteil bedacht sind – jeder, der einer anderen Person vertraut, hat im Grunde schon verloren.

 

Schnell wurde Philip Marlowe auch auf der Leinwand ein Superstar, Humphrey Bogart verkörperte ihn 1946 überaus erfolgreich in Tote schlafen fest, im Anschluss prägte die Figur maßgeblich die Ära des Film noir.

 

Charakteristisch, und damit wie geschaffen für den zwielichtigen Ermittler, sind beim Film noir die trostlosen Großstadtschauplätze (schäbige Bars, verlassene Fabriken, verregnete Straßen), die starken Hell-Dunkel-Kontraste und die stilprägende, sonore Stimme des Ich-Erzählers, die meist von Verbitterung und Zynismus durchzogen ist. Die ersten Filme des Genres wurden zeitgemäß in Schwarz-Weiß gedreht und auch nach Einführung des Farbfilms bedienten sich noch viele Film-noir-Macher dieses Formats.

 

Ebenso wie bei der Hardboiled Novel fällt es auch im Film noir schwer, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Es scheint, als sei die entfremdete und bedrückende Grundstimmung generell wichtiger als die eigentliche Handlung. So war bei der ersten Philip-Marlowe-Verfilmung dem Regisseur Howard Hawks zum Beispiel unklar, wer in einem Nebenplot den Chauffeur umgebracht hatte. Darum schickte er Chandler während der Dreharbeiten ein Telegramm mit der Frage, wer der Täter sei. Die Antwort des Autors lautete: „Keine Ahnung.“

 

Auch wenn Raymond Chandler solche Details abgingen, auf wunderschöne sprachliche Bilder verstand er sich. Mein ganz persönlicher „unerreichter Lieblingsvergleich“ kommt aus seinem Debütroman:

 

Ein paar Strähnen trockenen weißen Haares hingen an seinem Schädel wie wilde Blumen, die auf einem nackten Felsen um ihr Leben kämpfen.“

 

Philip Marlowe wurde die Blaupause für ganze Divisionen von abgehalfterten Privatschnüfflern in Fernsehserien (Detektiv Rockford), Comics (Sin City), Songs (Finden Sie Mabel!) und Parodien (Die nackte Kanone). Leider ähnelte ihm auch sein genialer Erschaffer in späteren Jahren immer mehr und hatte zunehmend mit den Folgen seines Alkoholmissbrauchs zu kämpfen. Raymond Chandler starb am 26. März 1959 in Kalifornien. Das Zitat auf seinem Grabstein stammt ebenfalls aus seinem ersten Buch: „Tote Männer sind schwerer als gebrochene Herzen.“

 

 

  

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