Kolumne

Tim Thoelke über Parks, Plüschhäschen und schmutzige Handschuhe

 

 

Jetzt, wo die Tage wieder länger werden, gibt es kaum etwas Schöneres, als den Tag für einen ausführlichen Spaziergang zu nutzen. So erfreue ich mich zurzeit in den Leipziger Parks am Anblick der ersten Blüten und Knospen des Jahres, der emsig singenden Vögel und der unkontrolliert herumspringenden Kinder.

Bedauerlicherweise muss ich jedoch feststellen, dass mein Blick dabei immer wieder durch eine bestimmte Bevölkerungsgruppe gestört wird, die im krassen Gegensatz zum allgemeinen Wohlbefinden durch eine oft schlecht gelaunte und zuweilen sogar regelrecht aggressive Gesichtsmimik auffällt: die Rentner.

 

Nun habe ich generell eigentlich keinerlei Probleme mit genannten, nicht mehr erwerbstätigen Personen – im Gegenteil, ich empfinde sogar so etwas wie Dankbarkeit für die ältere Generation, die maßgeblich verantwortlich ist für Dinge, die ich in Deutschland besonders schätze, wie Wohlstand, relative Sicherheit, ein leidlich funktionierendes Bildungs- und Gesundheitssystem und nicht zu vergessen die Existenz von Stadtparks und meiner Person. Okay, der Klimawandel, die vielen Kriege und die Ausrottung von 60 Prozent aller Tiere der Erde waren jetzt keine so guten Ideen und auch nicht die soziale Ungerechtigkeit und die Atomwaffen ... ach ja, und das mit dem Wutbürgertum, Brutalismus, Pokneifen, Mauerbau, Die Flippers, Donald Trump und und und – aber zurück zum Punkt: Was ich so gar nicht verstehen kann, ist, warum man, nachdem man sein Leben lang hart gearbeitet hat, in seinem letzten Lebensabschnitt permanent schlechte Laune vor sich herträgt, anstatt sich über die neu gewonnene Freizeit zu freuen.

 

Natürlich gibt es auch viele ältere Menschen, die indifferent oder sogar freundlich bis verschmitzt gucken, aber es fällt schon auf, dass ein signifikanter Teil der betagten Bürger grimmig bis streitsuchend in die Welt blickt. Ein Teil der Wahrheit ist sicher, dass (wie die meisten von uns schon festgestellt haben werden) im Alter die Straffheit der Haut nachlässt und sich herunterhängende Mundwinkel daher unwillkürlich von alleine ergeben. Dieser, um es in Emoticon-Sprache zu sagen, „Klammer-auf-Mund“ wird somit unaufhaltsam zum neuen „neutral“ des alternden Gesichts. So weit, so gut, aber was erklärt Senioren, die mit gefletschten Zähnen oder mit dauerhaft weit geöffneten Mündern und aufgerissenen Augen wie in Edvard Munchs Der Schrei spazieren gehen oder auf dem Fahrrad sitzen? Ist Altern denn wirklich so schmerzhaft?

 

Und noch etwas ist mir bei meinen Spaziergängen aufgefallen: Ich sehe immer wieder, dass unbekannte Täter wiederholt seltsame und fast bösartige Dinge mit Fundsachen anstellen. So sehen sich diese Personen offensichtlich genötigt, verlorene Handschuhe, Kuscheltiere, Schals oder Mützchen nicht dort liegen zu lassen, wo man sie am besten wiederfindet – nämlich mitten auf dem Weg –, sondern diese Gegenstände auf Zäunen, Fenstersimsen oder Ästen zu drapieren.

 

Ich verstehe natürlich den gut gemeinten Ansatz, diese beschützenswerten Kleinode vor dem Schmutz und Staub des gemeinen Weges zu retten – diese Waren-Waisen, die plötzlich wie ausgesetzt vor einem liegen –, der Schal, der nicht mehr wärmt, der Schnuller, an dem niemand mehr saugt, das Sabbertuch, in das kein Speichel mehr fließt: Und sie alle scheinen zwei flehende Worte an den Vorbeigehenden zu richten: Hilf mir!

 

Doch an dieser Stelle, sehr verehrte Lesende, gilt es, NEIN zu sagen, dem Klamotten-Helfersyndrom zu widerstehen und dem Fundstück-Samaritertum einen Riegel vorzuschieben. Kurz: Lassen Sie die Finger von den verlorenen Sachen! Denn was nützt es mir (oder meinem Kind), dass das geliebte Plüschhäschen nicht mehr im Dreck liegt, wenn ich es niemals wiederfinde – und zwar, weil sich jemand die Mühe gemacht hat, das verlorene Teil aus dem Suchfeld heraus auf eine 1,60 Meter hohe Mauerstütze zu bewegen. Dabei wäre besagtes Kuschelhäschen mitten auf dem Weg liegend aus 50 Metern Entfernung problemlos zu entdecken gewesen. Hier muss es heißen: Lieber der schmutzige Handschuh in der Hand als die saubere Mütze auf dem Mauersims, bzw. das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint.

 

Doch trotz zähnefletschender Senioren und kontraproduktiver Fundsachenverstecker: Man sollte viel häufiger nach draußen an die frische Luft gehen und den Anblick der ersten Blüten und Knospen des Jahres, der emsig singenden Vögel und der unkontrolliert herumspringenden Kinder genießen. Zumindest meine Gesichtszüge gehen dabei in Nullkommanichts in den „Klammer-zu-Mund“-Modus – trotz dessen, dass ich dabei kürzlich einen Handschuh verloren habe.

 

 

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