Kolumne

Tim Thoelke über Laubbläser, Eulen und Würmer

 

Vor ein paar Tagen rief mich ein Handwerker an, der bei mir neues Laminat verlegen sollte:

»Ich bin morgen früh um 7:00 Uhr da, okay?«

»Klar«, sagte ich gereizt, »da bin ich schon lange wach, schließlich fangen die Straßenarbeiter vor meinem Fenster schon um 6:30 Uhr an.«

 

Ich glaube, ich werde niemals verstehen, was ein derart früher Arbeitsbeginn für sich haben sollte. Wenn die Typen kommen, um die Straße vor unserem Haus aufzureißen, ist es noch stockdunkel, und zwar noch über eine Stunde lang. Wenn um 6:30 Uhr der Presslufthammer angeht, waren die Jungs vorher schon in der Firma, um sich »Morgen!« zuzurufen (es sei denn, man ist auch nur eine Minute zu spät, dann heißt es natürlich »Mahlzeit!«), Kaffee zu trinken, ihr Werkzeug einzupacken, ein paar Witze zu reißen und sich auf den Weg zu ihrem Kunden zu machen. Wenn ich dann noch Aufstehen, Zähneputzen, Duschen, Frühstücken und den Arbeitsweg dazuzähle, klingelt der Wecker bei Familie Presslufthammer nach meiner Rechnung so gegen 4:30 Uhr. Um einmal Tic Tac Toe zu zitieren: Und warum? Auch wenn ich verstehe, dass Herr Presslufthammer dadurch natürlich auch früher Feierabend hat, bringt das am Ende doch keine einzige Stunde zusätzlich in den Tag.

 

Scheinbar verträgt sich ein halbwegs gängiger Biorhythmus nicht mit bestimmten (sehr lauten) Berufen. Vor ein paar Wochen stand ich um 6:15 Uhr aufrecht im Bett, weil der Laubbläsermann fröhlich pfeifend vor meinem Haus sein Tag- oder besser: Nachtwerk verrichtete. Ob des infernalischen Lärms seines Laubbläsers (der offensichtlich mit Flugzeugturbinen ausgestattet war) hatte der Mann selbstverständlich einen ordentlichen Gehörschutz auf dem Kopf – ansonsten hätte er vielleicht die wütende Audiospur aus schreienden Babys und fluchenden Studenten gehört, die er gleichmütig hinter sich herzog.

 

Im Pressluft- und Laubblasgewerbe würde ich nicht glücklich werden, bin ich doch zeit meines Lebens ein ausgesprochener Nachtmensch gewesen. Leider musste ich mich auch zeit meines Lebens dafür rechtfertigen, dass ich generell selten vor 3 Uhr morgens schlafen kann und demnach auch erst gegen Mittag anfange zu arbeiten. Die total witzigen Kommentare, die ich mir deswegen anhören muss, sind seit etwa 30 Jahren die gleichen geblieben: »Haha, ja, jeden Tag am Feiern, was?«, »Immer noch der ewige Student, haha!«, »Bis mittags schlafen – das ist ja traumhaft!«

 

Was die Leute nicht verstehen: Ich schlafe nicht länger als andere Menschen, sondern lediglich später.

 

Zum Glück hat sich in den letzten Jahren immer weiter herumgesprochen, dass es beim Homo sapiens sehr unterschiedliche Schlaf- bzw. Wachtypen gibt, die grundsätzlich in »Lerchen« und »Eulen« unterteilt werden. Kommt man frühmorgens einfach immer schlecht aus dem Bett, liegt das meistens nicht daran, dass man einfach faul ist, verkatert oder die ganze Nacht Serien geguckt hat. Der Grund für Freud oder Leid am Ton des klingelnden Weckers liegt vor allem in den eigenen Genen, denn: Die innere Uhr eines jeden Menschen tickt anders. Natürlich gibt es einige Möglichkeiten und Ursachen für besseres oder schlechteres Einschlafen, wichtig ist aber zu verstehen, dass die innere Uhr 90 % unseres Aufstehverhaltens ausmacht, und diese Uhr kann man weder umstellen noch umtrainieren.

 

Diverse Untersuchungen zeigen, dass die meisten Menschen indes weder hundertprozentige Frühaufsteher noch komplette Morgenmuffel sind, sondern Mischtypen – sogenannte »Tauben«. Nur ca. 7 % sind reine »Lerchen« und knapp 20 % (also fast dreimal so viel!) echte »Eulen«. Die meisten Menschen (etwa 73 Prozent) liegen irgendwo dazwischen – allerdings leben (und schlafen) laut einer Studie nur ca. 12 % der Gesellschaft genau im Takt ihres Weckers. Etwa 40 % kommen immerhin noch recht gut klar und weichen nur bis zu einer Stunde ab.

 

Bleiben also 48 % der Bevölkerung, die zeitlebens einen echten Kampf gegen die eigene innere Uhr führen müssen, da sich Arbeits- oder Schulzeiten nur sehr selten an die eigene genetische Zeitstruktur anpassen lassen. Und das mit zum Teil ernsthaften Folgen, denn die Gesundheit nimmt nachweislich Schaden am zu frühen Aufstehen – eine Tatsache, von der Schichtarbeitende besonders stark betroffen sind. Neben verminderter Leistungsfähigkeit können Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und sogar Krebs das Resultat eines quasi dauerhaften Jetlags sein.

 

Die späten Chronotypen haben es neben Jetlag und Gesundheitsrisiken auch mit vielschichtigen gesellschaftlichen Problemen und Vorurteilen zu tun. Das gängige Ideal lautet: »Der frühe Vogel fängt den Wurm.« Diese Vorstellung einer protestantisch-calvinistischen Arbeitsethik ist seit Jahrhunderten etabliert und verlangt die Nützlichkeit des menschlichen Handelns, wobei der wirtschaftliche Erfolg im Vordergrund steht. Zeitvergeudung, Luxus und übermäßig langer Schlaf zählen dabei zu den schlimmsten Sünden überhaupt – und genau dieser wird ja grundsätzlich vorausgesetzt, wenn man spät aufsteht.

 

Ich mag meine innere Uhr und nehme sie ernst. Auch wenn ich immer mal wieder Leute treffe, die denken, dass ich, weil ich spät schlafen gehe, phlegmatisch oder sogar faul bin: Tatsächlich ist die Organisation von Terminen, die den Vormittag ausklammern, eher mit mehr Arbeit verbunden als mit weniger. Gegen die Herren Presslufthammer und Laubbläser wappne ich mich mit Ohropax, und das Frühe-Vogel-Sprichwort werde ich auch in Zukunft aus der Sicht des Wurmes interpretieren: als Warnung.

 

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